Zur Geschichte des Krankenpflegeberufs in Italien

Die erste rechtliche Anerkennung des Krankenpflegers geht auf das Königliche Dekret Nr. 615 vom 16. August 1909 zurück („Regolamento istituzione di manicomi“), mit dem die sogenannten Irrenanstalten gegründet wurden und gleichzeitig das Berufsbild das psychiatrischen Krankenpflegers entstand. Laut Dekret musste Letzterer lesen und schreiben können, in guter körperlicher Verfassung sowie volljährig (also mindestens 18 Jahre alt) sein und untadeliges moralisches Verhalten gewährleisten. Außerdem wurde festgelegt, dass die in öffentlichen und privaten Irrenanstalten tätigen Krankenpfleger körperlich gesund (was auch durch eine entsprechende medizinische Untersuchung nachzuweisen war) sowie straf- und zivilrechtlich unbescholten sein mussten.

1925 wurden mit dem Königlichen Dekret Nr. 1832 vom 15. August die Internatsschulen eingerichtet: Dadurch konnten nun auch spezifische Heimschulen für Krankenpfleger gegründet werden, die – außer für Klosterfrauen – für alle verpflichtend waren. Die Ausbildung hatte eine Dauer von zwei Jahren und sah die Möglichkeit vor, durch einen zusätzlichen einjährigen Lehrgang die Befähigung zur Ausübung leitender Funktionen in der Krankenpflege zu erlangen. Der Unterricht wurde von Ärzten und in einigen wenigen Fällen von leitenden Krankenpflegerinnen gestaltet. Schuldirektoren waren die Sanitätsdirektoren, und unterrichtet wurde ausschließlich ärztliches Wissen. Es herrschte strenge Disziplin, moralische Erziehung und Gehorsam waren ein wesentlicher Bestandteil der Ausbildung. Aufgabe der Krankenpflegerinnen war ausschließlich die Ausführung ärztlicher Anweisungen.

Art. 7 des Königlichen Dekrets sah vor, dass die Verantwortung für die theoretische und praktische Ausbildung den Ärzten oblag (deren Eignung von der Direktorin bestätigt wurde), ebenso wie der Direktorin selbst und der Stockpflegerin. Die Direktorin musste über ein Krankenpflegediplom (Berufskrankenpflegerin) verfügen, eine Befähigung zur Ausübung leitender Funktionen vorweisen können und mindestens zwei Jahre verdienstvolle leitende Tätigkeit an einer Abteilung absolviert haben.

Im Sinne von Art. 9 wurde an den Schulen ein drittes Ausbildungsjahr zur Befähigung für die Ausübung leitender Funktionen eingerichtet.
Am 21. November 1929 wurde das Königliche Dekret Nr. 2330 erlassen („Nuovi requisiti di ammissione“). Damit wurden die neuen Zulassungsvoraussetzungen für den Besuch der Internatsschulen festgelegt, und zwar der Nachweis eines Mittelschulabschlusses anstelle des bis dahin vorgesehenen Volksschulabschlusses.

Mit dem Königlichen Dekret Nr. 1265 vom 27. Juli 1934, dem Einheitstext der Gesetze des Gesundheitswesens, wird der Beruf des Krankenpflegers zum ersten Mal als „ärztlicher Hilfsberuf“ definiert; demzufolge waren Krankenpfleger zur Gänze von den Anleitungen der Ärzte abhängig und verfügten über keinerlei Autonomie.

Das Königliche Dekret Nr. 1310 vom 2. Mai 1940 („Attribuzione delle mansioni delle infermiere professionali e degli infermieri generici“) regelt die verwaltungstechnische, organisatorische und disziplinäre Aufgabenzuteilung in den Krankenhäusern, ebenso wie die direkten und indirekten Versorgungsaufgaben der Berufskrankenpfleger. Die Berufskrankenpflegerin war demzufolge befugt, auf ärztliche Anweisung bestimmte Maßnahmen durchzuführen; die Zuständigkeiten der Hilfskrankenpfleger waren auf bestimmte, vom Arzt vorgegebene Leistungen beschränkt. Im Krankenhaus erfolgte die Ausführung dieser Leistungen unter der Verantwortung der Berufskrankenpfleger. Besagte Aufgaben betrafen die umfassende Versorgung des den jeweiligen Fachkräften und der leitenden Krankenpflegerin der Abteilung anvertrauten Patienten, sowie die Verabreichung von Diätkost im Sinne der Anweisungen der Berufskrankenpflegerin.

Mit dem Gesetz Nr. 1046 vom 29. Oktober 1954 wird der einjährige Ausbildungslehrgang für Hilfskrankenpflegerinnen und -krankenpfleger eingeführt.

Durch das Gesetz Nr. 1049 vom 29. Oktober 1954 wird schließlich der Berufsverband der Berufskrankenpflegerinnen, Sanitätsassistentinnen und Kinderkrankenpflegerinnen IPASVI auf Landesebene eingerichtet. Ab diesem Zeitpunkt entwickeln sich die Berufsverbände kontinuierlich weiter und begleiten den gesamten Wachstumsprozess des Krankenpflegeberufs.

1960: Der erste DEONTOLOGISCHE KODEX DER ITALIENISCHEN KRANKENPFLEGER UND KRANKENPFLEGERINNEN

Die Ausübung des ärztlichen Hilfsberufs steht im Dienste des Menschen und orientiert sich an den Grundsätzen des Rechts und der Moral. Der erste Deontologische Kodex besteht aus 11 Artikeln.

Art. 1: Die Berufskrankenpflegerin, die Sanitätsassistentin und die Kinderkrankenpflegerin widmen sich in ihrer Arbeit der Betreuung der Kranken, der Linderung von Leiden und dem Schutz des Lebens und der individuellen und kollektiven Gesundheit.

Art 9: (omissis) … sorgen sie für kontinuierliche Fortbildung und Schulung und legen auch in ihrem Privatleben ein beispielhaftes Verhalten an den Tag.

Art 10: Sie sind sich stets bewusst, dass die getragene Uniform ihr Kennzeichen und Ausdruck einer ausgeglichenen Persönlichkeit ist, die Respekt und Vertrauen einflößt.

Die ersten ÄNDERUNGEN (zwischen 1960 und 1977):

  • Gesetz Nr. 795 vom 15. November 1973 (Ratifizierung des „Europäischen Übereinkommens über die theoretische und praktische Ausbildung von Krankenschwestern und Krankenpflegern“, welches am 25. Oktober 1967 in Straßburg unterzeichnet wurde): Artikel 2 sieht vor, dass die Anwärterinnen und Anwärter von Krankenpflegeschulen mindestens 10 Schuljahre erfolgreich absolviert haben müssen.
  • Dekret DPR Nr. 225 vom 14. März 1974 (Änderungen zum Königlichen Dekret von 1940 im Bezug auf die Aufgabenbereiche von Berufskrankenpflegern und Hilfskrankenpflegern). Demzufolge sind Berufskrankenpfleger verpflichtet, an regelmäßig stattfindenden Sitzungen teilzunehmen und sich an Studien zu Versorgungstechniken und Versorgungszeiten zu beteiligen. Außerdem sind sie verpflichtet, alle in ihren Zuständigkeitsbereich entfallenden Aufgaben auszuführen, um die psychologischen Bedürfnisse der Patienten zu erfüllen sowie gute Beziehungen zu Patienten undAngehörigen herzustellen und aufrecht zu erhalten.
  • Dekret DPR Nr. 878 vom 31. Oktober 1974 (Überarbeitung der Satzung der Universität Mailand): Art. 367 legt fest, dass eine hochqualifizierte Krankenpflegerin auf Vorschlag des Direktors des Ausbildungslehrganges (der vom Rektor ernannt wird) zur Vizedirektorin des Fakultätsrates ernannt wird; besagte Krankenpflegerin muss über einen entsprechenden Berufstitel einer italienischen oder ausländischen Krankenpflegeschule verfügen. Es handelt sich dabei um das erste italienische Gesetz, mit dem eine hochqualifizierte Krankenpflegerin zur Vizedirektorin ernannt wurde (Marisa Cantarelli).
  • Dekret DPR Nr. 867 vom. 13 Oktober 1975: Abänderung der Lehrordnung der Krankenpflegeschulen und der entsprechenden Lehrpläne. Die Ausbildungsdauer wird auf drei Jahre angehoben, das Mindestalter für den Zugang zur Ausbildung liegt bei 16 Jahren. Das europäische Abkommen sah ein Mindestalter von 17 bis 19 Jahren sowie den Nachweis von Fremdsprachenkenntnissen vor.

DER DEONTOLOGISCHE KODEX VON 1977

Einleitung. Der Krankenpfleger übt einen Beruf im Dienste der Gesundheit und des Lebens aus. Neben der Sicherstellung angemessener krankenpflegerischer Leistungen ist er verpflichtet, nach neuen Wegen zu suchen, um durch die Zusammenarbeit aller Fachkräfte des Gesundheitswesens eine Verbesserung der Gesundheitssituation in Italien zu erreichen. Der Krankenpflegeberuf findet in seiner menschlichen, sozialen und technischen Dimension immer dann seinen höchsten Ausdruck, wenn er sich an klar definierten gemeinsamen Normen orientiert.
Der Deontologische Kodex von 1977 bestand aus 11, in 3 Abschnitte unterteilten Artikeln:

  • Abschnitt A: Die menschliche Dimension
  • Abschnitt B: Die sozialen Beziehungen
  • Abschnitt C: Berufstechnische Verpflichtungen

A Die menschliche Dimension

  •  1. Der Krankenpfleger steht im Dienste des menschlichen Lebens; er hilft dem Menschen dabei, das Leben zu lieben, Krankheit zu überwinden und sich gegebenenfalls mit dem Gedanken des Todes auseinanderzusetzen.
  • 4. Der Krankenpfleger fördert die Gesundheit des Einzelnen und der Gemeinschaft durch seinen Einsatz für Prävention, Behandlung und Rehabilitation.

B Die sozialen Beziehungen

  • 6. Der Krankenpfleger arbeitet unter eigener Verantwortung und unter Berücksichtigung der verschiedenen Zuständigkeitsbereiche aktiv mit den Ärzten und den anderen Fachkräften des Sozial- und Gesundheitswesens zusammen, um durch entsprechende Planung und Funktionsweise der Strukturen sowie durch die demokratische Gestaltung der Dienste und Leistungen die Gesundheit der Bürger zu verbessern, wobei die realen Bedürfnisse der lokalen Bevölkerung stets im Vordergrund stehen.

C Berufstechnische Verpflichtungen

  • 11. Der Krankenpfleger behauptet und verteidigt sein Recht auf Verweigerung aus Gewissensgründen im Falle bestimmter Eingriffe, die nicht mit den ethischen Grundsätzen seines Berufes vereinbar sind (Gesetz Nr. 194 vom 22. Mai 1978, Bestimmungen zum sozialen Schutz der Mutterschaft und zum Schwangerschaftsabbruch).

DER DEONTOLOGISCHE KODEX VON 1999

Dieser Deontologische Kodex bestand aus 47, in 7 Abschnitte unterteilten Artikeln:

  • 1 Vorstellung (4 Artikel)
  • 2 Ethische Grundsätze des Berufs (7 Artikel)
  • 3 Allgemeine Bestimmungen (6 Artikel)
  • 4 Beziehungen zur betreuten Person (18 Artikel)
  • 5 Berufliche Beziehungen zu Kollegen/Kolleginnen und anderen Fachkräften (6 Artikel)
  • 6 Beziehungen zu den Institutionen (6 Artikel)
  • 7 Schlussbestimmungen (1 Artikel)

Art 1.1 Der Krankenpfleger oder die Krankenpflegerin ist die für die Krankenpflege verantwortliche Fachkraft des Gesundheitswesens; er/sie verfügt über einen berufsbefähigenden Titel und ist in das entsprechende Berufsverzeichnis eingetragen.

Art 1.3 Die Verantwortung der Krankenpflegerin besteht in der Betreuung, Pflege und Fürsorge der Person unter Achtung des Lebens, der Gesundheit, der Freiheit und der Würde des Individuums.

Art 2.5 Die Krankenpflegerin verpflichtet sich bei Konflikten, die aufgrund unterschiedlicher ethischer Anschauungen entstehen, eine Lösung durch Dialog zu finden. Falls der ausgedrückte Wille nicht mit den ethischen Grundsätzen des Krankenpflegeberufs und mit dem eigenen Gewissen vereinbar ist, macht die Krankenpflegerin von ihrem Recht auf Verweigerung aus Gewissensgründen Gebrauch.

Art 4.4 Die Krankenpflegerin muss über Diagnose und Therapie des Betreuten informiert werden, da dies entscheidende Auswirkungen auf die Versorgung und die Beziehung zur Person hat.

4.11 Die Krankenpflegerin setzt sich dafür ein, dass die Wünsche der Minderjährigen im Hinblick auf therapeutische Entscheidungen berücksichtigt werden, wobei dem Alter und dem Reifegrad des Minderjährigen Rechnung zu tragen ist.

Art 6.2 Die Krankenpflegerin gleicht durch kooperatives Verhalten und im primären Interesse der Betreuten und der Einrichtungen die Mängel in der Einrichtung, in der sie tätig ist, aus. Sie ist verpflichtet, sich dieser ausgleichenden Haltung zu widersetzen, wenn es sich nicht nur um Ausnahmesituationen handelt oder wenn ihr institutioneller Auftrag gefährdet wird.

DER DEONTOLOGISCHE KODEX VON 2009

Laut italienischem Gesetz stellt der Deontologische Kodex der Krankenpfleger neben dem Berufsprofil die Grundlage für die autonome Ausübung der Aufgaben der Krankenpfleger dar. Der zentrale Wert des Deontologischen Kodex besteht in der Anerkennung der Notwendigkeit einer Regelung der Berufsausübung.
Der Deontologische Kodex von 2009 besteht aus 51 Artikeln.

EINIGE ANMERKUNGEN ZUM KODEX VON 2009

Die Geschichte beruht auf Ereignissen, Entwicklungen und Anlässen, und genau dies zeigt sich auch im Entwicklungsprozess der italienischen Krankenpflegerinnen und Krankenpfleger ebenso wie der lokalen Berufsverbände und des nationalen Berufsverbandes IPASVI. Ihre Geschichte ist voller unvergessener Anlässe und Ereignisse, die sich in unser Gedächtnis eingeprägt haben.

Im Februar 1999 kam es zu einem denkwürdigen Schritt in der Geschichte der italienischen Krankenpflege, der Verabschiedung von Gesetz Nr. 42. Damit wurde die Aufgabenbeschreibung („mansionario“) abgeschafft und der Deontologische Kodex (neben dem Berufsprofil und den Lehrordnungen) als kennzeichnendes Dokument und Element zur Definition der Tätigkeitsbereiche der Krankenpflege festgelegt.
Im Oktober 1999 wurde diese Version des Deontologischen Kodex im Rahmen des 12. Kongresses des Nationalen Dachverbandes der Berufsverbände IPASVI allen italienischen Krankenpflegerinnen und Krankenpflegern vorgestellt.

Im Februar 2009 fand der 15. Kongress des Nationalen Dachverbandes der Berufsverbände IPASVI statt, und bei dieser Gelegenheit wurde – genau 10 Jahre nach 1999 – der neue Deontologische Kodex der italienischen Krankenpflegerinnen und Krankenpfleger als Ergebnis intensiver gemeinsamer Arbeit der gesamten italienischen Krankenpflege vorgestellt und gefeiert.

In der Zwischenzeit sind weitere 10 Jahre vergangen, die von wichtigen Veränderungen geprägt waren und in denen bedeutende Ziele erreicht wurden. Heute können wir mit Stolz sagen, dass die Krankenpflege zu einer klar definierten, reifen beruflichen Identität gefunden hat.

Krankenpfleger sind nicht mehr „Fachkräfte des Gesundheitswesens“ mit einem berufsbefähigenden Diplom, sondern für die Krankenpflege verantwortliche Professionisten. Als solche sind sie für die Versorgung des Individuums und der Gemeinschaft zuständig, wobei das pflegerische Handeln aus einer Gesamtheit von Kenntnissen, Vorrechten, Tätigkeiten, Zuständigkeiten und Verantwortungsbereichen besteht, die sich durch alle beruflichen Ebenen ziehen und die unterschiedlichsten Versorgungssituationen mit einschließen.

Diese tiefgreifende Wende für den gesamten Krankenpflegeberuf widerspiegelt sich in der Beziehung zwischen Krankenpfleger und Betreuten: Es ist eine Beziehung zwischen zwei autonomen Subjekten, die beide für den Pflegepakt und dessen Umsetzung verantwortlich sind. Dieser Pakt ist als solcher gültig und verlangt in seiner Umsetzung keinerlei Vermittlung durch andere Berufsbilder. Seine Besonderheit zeigt sich in der Ausformung der therapeutischen Prozesse und der klinischen Versorgungspfade.

Der Krankenpfleger und seine Beziehung zur betreuten Person.

Der neue Deontologische Kodex
Der neue Deontologische Kodex legt die Grundregeln des beruflichen Handelns ebenso wie die ethischen Grundsätze fest, auf denen das gesamte System aufbaut, in dem die Beziehung zur betreuten Person stattfindet. Diese Beziehung findet ihren Ausdruck in spezifischen, autonomen und komplementären intellektuellen, technisch-wissenschaftlichen, verwaltungstechnischen, beziehungsbezogenen und erzieherischen Handlungen.

Die für die Beschreibung der Pflegeleistungen verwendeten Begriffe verweisen auf die Interpretation der Art der krankenpflegerischen Handlung. Dabei geht es darum, in den verschiedenen Phasen des Betreuungsprozesses Angemessenheit und Relevanz im stets vorrangigen Interesse der betreuten Person zu gewährleisten.

Der Begriff „spezifisch“ steht für „ihm eigen“, d.h. dem Berufsbild eigen als Ausdruck besonderer Kompetenzen und Erfahrungen des Krankenpflegers.

„Autonom“ bedeutet so viel wie „aufbauend auf einer selbständig getroffenen Entscheidung“, die von anderen Berufsbildern unabhängig ist.

Die Adjektive „intellektuell, technisch-wissenschaftlich, verwaltungstechnisch, beziehungsbezogen und erzieherisch“ beziehen sich auf ein fachspezifisches Wissen, das die Grundlage der verschiedenen Funktionen der Krankenpflege darstellt, ebenso wie auf die zentrale Bedeutung der Beziehung, der Erziehung und der Information.

Auch die mit der Autonomie verbundene Verantwortung stellt ein Leitprinzip des beruflichen Handelns dar. Der Krankenpfleger übernimmt Verantwortung und dadurch auch konstante Verpflichtungen in allem, was er tut: in der Betreuung und in der Behandlung des Patienten unter Beachtung des Lebens, der Gesundheit, der Freiheit und der Würde des Menschen.

Zentrale Punkte sind außerdem der Verweis auf die Grundsätze der Gleichheit und Gerechtigkeit in allen organisatorischen und verwaltungsbezogenen Entscheidungen, die Gewährleistung ethischer, religiöser und kultureller Werte ebenso wie die Beachtung des Geschlechts und der sozialen Umstände der betreuten Person bei allen Entscheidungen über die jeweiligen Versorgungsleistungen.

Der Krankenpfleger übernimmt in seiner Tätigkeit eine aktive Rolle und handelt eigenständig mit Entscheidungsfreiheit und Verantwortung unter Berücksichtigung bestimmter klar definierter Werte, wonach die Achtung vor den Grundrechten des Menschen und den ethischen Grundsätzen des Berufes eine Grundvoraussetzung für die Versorgung und Pflege der Gesundheit als grundlegendes Gut des Individuums sowie spezifisches Interesse der Gemeinschaft darstellt. Es gilt, dieses Gut in allen beruflichen Tätigkeitsbereichen durch Prävention, Behandlung, Rehabilitation und palliativmedizinische Versorgung zu schützen.

Der Krankenpfleger bereichert sein Wissen und seine berufliche Identität durch die Beziehung zur betreuten Person. Dabei stellen „Person“ und „Betreuter“ zwei komplementäre Begrifflichkeiten eines ganzheitlichen Konzeptes dar.

Die „Person“ bezieht sich auf den „Bürger“ als Träger von Rechten und als handelnden Akteur in der Förderung und im Schutz seines sich ständig ändernden Gesundheitszustandes.

Der „Betreute“ ist die „Person“, mit welcher der Krankenpfleger eine besondere, spezifische und berufliche Beziehung aufbaut, die von Respekt, Austausch und Dialog als Grundprinzipien der beruflichen Ethik geprägt sind.

Vorrangige Aufgabe des Krankenpflegers ist es, sich der betreuten Person auf ganzheitliche Weise anzunehmen und dabei stets auch ihre sozialen Beziehungen und ihr Umfeld mit zu berücksichtigen. Dies äußert sich in einer empathischen, vertrauensvollen Beziehung vor allem in schwierigen Momenten, wenn die betreute Person besonders verletzbar ist und dadurch noch mehr Hilfe und Unterstützung braucht.

Im Mittelpunkt einer derart gestalteten krankenpflegerischen Tätigkeit steht das Wohl des Betreuten durch Aktivierung seiner Ressourcen und durch Hilfestellungen zum Erlangen größtmöglicher Autonomie; dies gilt umso mehr im Falle von Behinderung, Benachteiligung und Verletzlichkeit.

Die Beziehung zwischen Krankenpfleger und betreuter Person ist von Austausch, Vertrauen, Gespräch, Dialog und Bedürfnissen geprägt. Dabei kann es natürlich auch zu Missverständnissen, Spannungen und Konflikten u.a. aufgrund unterschiedlicher ethischer Ansichten kommen, z.B. im Bezug auf die Sicht des Lebens, die Bedeutung des Leidens, die Wahrnehmung der eigenen Würde oder die Entscheidungsfreiheit bei Diagnostik, Behandlung und Versorgung sowie vielem anderen mehr.

In diesen schwierigen Situationen sind Zuhören, respektvolles Gespräch und vor allem echter Dialog die wichtigsten Instrumente zur Überwindung der Spannungen, Missverständnisse und Konflikte. Es gilt, den Dialog ständig aufrecht zu erhalten, auch dann, wenn der Betreute Verhaltensweisen zeigt und Forderungen stellt, die ethische Konflikte mit sich bringen und den Krankenpfleger zur Anwendung der „ Gewissensklausel“ (1) veranlassen.

Durch die Gewissensklausel drückt der Krankenpfleger seinen Widerstand gegen Forderungen aus, die im Widerspruch zu den Grundsätzen des Krankenpflegeberufs und seinen Werten stehen, und zwar abgesehen von jenen Situationen, in denen die Verweigerung aus Gewissensgründen bereits gesetzlich vorgesehen und geregelt ist.

Die überzeugte und konsequente Berücksichtigung der Grundsätze des Krankenpflegeberufs und damit der Versorgung, Behandlung und des Caring für die betreute Person mit Achtung vor dem Leben, der Gesundheit, der Freiheit und der Würde des Individuums bewirkt, dass sich der Krankenpfleger dafür einsetzt, auf dass die betreute Person auch durch die Interventionen anderer Kolleginnen und Kollegen oder durch den Einsatz der jeweiligen Einrichtung die für ihre Unversehrtheit und für ihr Leben notwendigen Leistungen erhält.

Dadurch schützt der Krankenpfleger den Betreuten, er stellt sicher, dass dieser nie alleine gelassen wird und ermöglicht ihm sein Recht auf Ausdruck des eigenen Willens.

Darüber hinaus schützt der Krankenpfleger den Betreuten auch dadurch, dass er sich ständig dafür einsetzt, auf dass sein berufliches Handeln in keinem Fall Schaden oder Nachteile mit sich bringt.

In diesem Sinne handelt er „mit Vorsicht“, um nicht zu „schaden“, und beruft sich auch in der Entscheidung über die optimale Ressourcenzuteilung auf den Grundsatz der Gerechtigkeit.

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(1) Die „Gewissensklausel“ im Gesundheitswesen wurde vom Nationalen Bioethik-Komitee 2004 in einer Stellungnahme zur Rechtmäßigkeit des Verweises auf die Verweigerung aus Gewissensgründen durch Fachkräfte des Gesundheitswesens im Falle einer Verschreibung und Verabreichung der sogenannten „Pille danach“ eingeführt. Damals definierte das Bioethik-Komitee die „Gewissensklausel“ als Leitprinzip für das ethische Verhalten der Fachkräfte des Gesundheitswesens in all jenen Fällen, in denen die Verweigerung aus Gewissensgründen nicht gesetzlich vorgesehen ist. Die italienische Rechtsordnung sieht die Verweigerung aus Gewissensgründen nur im Bezug auf Schwangerschaftsabbruch (Gesetz 194/78), Tierversuche (Gesetz 413/93) und künstliche Befruchtung (Gesetz 40/04) vor.

Krankenpfleger und der Wille und die Würde des Betreuten in allen Behandlungs- und Versorgungsprozessen

Den Betreuten in den Mittelpunkt aller Behandlungs- und Versorgungsprozesse zu stellen bedeutet, dass der Krankenpfleger dessen Würde in allen Krankheitsphasen achtet und sich dafür einsetzt, Leid und Schmerz zu verhindern und zu bekämpfen. Außerdem gewährleistet er die notwendigen Behandlungen und steht dem Betreuten in allen Phasen bis zum Lebensende auf empathische Weise nahe, u.a. durch palliativmedizinische Behandlungen sowie körperliche, psychologische, beziehungsbezogene, spirituelle und umgebungsspezifische Unterstützungsmaßnahmen.

Das Lebensende ist durch eine respektvolle und sensible Haltung des Krankenpflegers gekennzeichnet, der sich für den Betreuten, seine Bedürfnisse und seinen Willen im Bezug auf die zu erbringenden Leistungen einsetzt.

Der Krankenpfleger schützt auch den Wunsch des Betreuten, von Maßnahmen abzusehen, die für seine spezifische klinische Situation nicht verhältnismäßig sind und nicht der von ihm geäußerten Einstellung zur Lebensqualität entsprechen. Außerdem widersetzt sich der Krankenpfleger jeder Form von lebensverlängernden Maßnahmen.

Ist der Betreute nicht in der Lage, selbst seinen Willen zu äußern, berücksichtigt der Krankenpfleger den vom Betreuten bereits früher ausgedrückten und dokumentierten Willen, wobei er gleichzeitig aber auch unterstreicht, dass er keine Maßnahmen umsetzen und sich an keinen Maßnahmen beteiligen wird, die den Tod des Betreuten hervorrufen, auch dann nicht, wenn der Betreute selbst diese Forderung stellt.

Der Krankenpfleger orientiert sich am Grundwert der pietas und unterstützt die Angehörigen und Bezugspersonen des Betreuten, insbesondere in der terminalen Phase einer Erkrankung und in der Phase der Trauer und Trauerverarbeitung. Er informiert und sensibilisiert für Blut-, Gewebe- und Organspenden als Akt der Solidarität und unterstützt die Spender ebenso wie die Empfänger.

Krankenpfleger und ihre Beziehungen zu Kolleginnen und Kollegen und zum gesamten Gesundheitswesen

Die Beziehungen zu den Vertretern der eigenen Berufsgruppe ebenso wie zu jenen aller anderen Berufsgruppen ziehen sich durch den gesamten Arbeitsalltag mit Kolleginnen und Kollegen und mit den Angehörigen verschiedenster Berufsgruppen.

Der Krankenpfleger setzt sich für Zusammenarbeit, Aufwertung der Teamarbeit und Schutz der eigenen Würde ebenso wie jener aller anderen Kolleginnen und Kollegen ein. Sein Verhalten ist durch Respekt und Solidarität geprägt. Er meldet der eigenen Berufskammer alle missbräuchlichen Verhaltensweisen anderer Krankenpfleger, die nicht mit den ethischen Prinzipien des Krankenpflegeberufs vereinbar sind.

Der Krankenpfleger schützt den persönlichen Anstand und sein persönliches Ansehen ebenso wie das Prestige seines Berufes gegenüber den eigenen Berufskollegen und allen anderen Fachkräften; er übt seinen Beruf nach den Grundsätzen der Ehrlichkeit und Loyalität aus. Unter Berücksichtigung der Vorgaben der Berufskammer achtet er auf die seine Berufsausübung betreffenden Werbebotschaften.
Das Bemühen um mehr Qualität in den Versorgungsprozessen erfordert einen aktiven Einsatz für ein funktionierendes Gesundheitswesen, das stets die Bedürfnisse der Bürgerinnen und Bürger in den Mittelpunkt stellt.

Dies gilt für das Berufsbild als Ganzes, insbesondere mit Blick auf die Entwicklungen des Krankenpflegeberufs und seine Wahrnehmung, das Berufsprofil sowie den Fortschritt und die Innovation in den Versorgungsprozessen.

Das Wissen, die Erfahrung und die Kompetenz der Krankenpfleger gründen auf einer aktiven Rolle aller Vertreterinnen und Vertreter dieses Berufsbildes, und dies gilt auch für die Überwachung der erbrachten Leistungen und Prozesse, für Verbesserungsvorschläge und für Maßnahmen zur Anpassung des gesamten Gesundheitswesens an die sich ständig weiter entwickelnden Gesundheitsbedürfnisse.

In diesem Sinne trägt der Krankenpfleger auf den verschiedenen Verantwortungsebenen zur korrekten Ausrichtung der politischen Vorgaben und der Entwicklungen des Gesundheitswesens bei, stets mit dem Ziel der Gewährleistung der Rechte der Betreuten, einer gerechten und angemessenen Nutzung der Ressourcen und einer Aufwertung der eigenen beruflichen Rolle.

Der Krankenpfleger informiert die Verantwortlichen über eventuelle Mängel und Missstände in seiner Einrichtung oder – im Falle freiberuflicher Tätigkeit – in jener Einrichtung, in der sein Patient betreut wird.
Durch die Komplexität der Organisationen des Gesundheitswesens, die Vielfalt der Arbeitsprozesse und die zahlreichen Vernetzungen zwischen Mitarbeitern, Arbeitsbelastung, vertraglich festgelegten Rechten und Pflichten ebenso wie durch die starke Diversifizierung der Bedürfnisse und Erfordernisse des Gesundheitswesens und die darauf abzielenden Leistungen kann es zu organisatorischen Schwierigkeiten und Mängeln in der Versorgung kommen.

In diesen Fällen verpflichtet sich der Krankenpfleger im Sinne seines Auftrages und im stets vorrangigen Interesse der Betreuten, die Mängel und Missstände zu beheben, die in seiner Einrichtung ausnahmsweise auftreten können.

Genauso gilt aber, dass sich der Krankenpfleger weigert, Mängel und Missstände auszugleichen, wenn diese nicht die Ausnahme, sondern die Regel sind, und wenn es zu einem wiederholten Auftreten von Problemen und Missständen kommt, die nie angemessen gelöst werden, oder wenn das berufliche Handeln der Krankenpfleger systematisch gefährdet wird, wie im Falle einer Rückstufung, eines unangemessenen Einsatzes seiner beruflichen Kompetenz oder der Unmöglichkeit, aufgrund andauernden Personalmangels angemessene Versorgungsstandards aufrecht zu erhalten.

Demzufolge verpflichtet sich der Krankenpfleger, das Wohlbefinden und die Sicherheit der Allgemeinheit zu schützen und missbräuchliche Berufsausübung sowie all jene Situationen zu melden, in denen die Qualität der Versorgung und Behandlung oder der Anstand der Berufsausübung durch bestimmte Umstände oder Umfeld- und Strukturbedingungen gefährdet sind.

Abschließend lässt sich Folgendes unterstreichen:

Der neue Deontologische Kodex ist ein hochwertiges Instrument zur Sicherstellung der Qualität der Krankenpflege. Er beschreibt, wie sich Krankenpfleger in ihrem beruflichen Handeln für die Betreuten und die Allgemeinheit einsetzen.

Die Bestimmungen des Deontologischen Kodex prägten das Profil der italienischen Krankenpflege, wie es sich in den letzten Jahrzehnten in rechtlicher Hinsicht wie auch mit Blick auf den Status und die Kompetenzen der Krankenpfleger entwickelt hat. Diese Jahrzehnte waren durch außerordentliche Innovationen und Fortschritte des Krankenpflegeberufs gekennzeichnet.

Die italienischen Krankenpfleger sind heute in jeder Hinsicht Professionisten des Gesundheitswesens und direkte Ansprechpartner für alle Bürgerinnen und Bürger; sie gewährleisten die wertvolle Möglichkeit einer professionellen, angemessenen und individuell gestalteten krankenpflegerischen Versorgung.
Die Beziehung zwischen Krankenpflegern und Betreuten stellt eine entscheidende Grundlage für die Gewährleistung des sich ständig weiter entwickelnden Betreuungs- und Versorgungsbedarfs dar und ist ein zentraler Bestandteil des Gesundheitswesens, das heute innovative und kompetente Lösungen für den wachsenden Bedarf an unterschiedlichen Versorgungsangeboten bietet und systematisch und konstant dafür einsteht, dass Patienten aufgenommen werden und strukturierte Antworten auf ihre eigenen und auf die gesellschaftlichen Bedürfnisse erhalten, stets im Sinne der Versorgungskontinuität.

Die Krankenpfleger Italiens unterstreichen auch durch diesen neuen Deontologischen Kodex ihr Engagement für ein ethisch geprägtes „Sein“, ein nach höchsten beruflichen Standards ausgerichtetes berufliches „Handeln“ und ihren Einsatz dafür, all dies stets und unter allen Umständen bestmöglich umzusetzen.

Annalisa Silvestro

Präsidentin des nationalen Berufsverbandes IPASVI